Montag, 30. April 2007

HOLISTISCH


Psychotherapie als synergetisches Prozessmanagement


Gezielte Symmetriebrechung ermöglichen: »Symmetrie« bedeutet in der Sprache der Synergetik, dass zwei oder mehrere Atraktoren (bzw. Ordner) eines Systems im Zustand kritischer Instabilität potenziell mit gleicher oder ähnlicher Wahrscheinlichkeit realisiert werden können. Da kleine Fluktuationen über ihre Realisierung entscheiden, ist die Vorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung gering. In der Metaphorik der Potenziallandschaft bedeutet dies: die Kugel (das Systemverhalten) befindet sich auf einem Hügelkamm (Separatrix) und kann in verschiedene Richtungen in ein Bassin rollen.


In der Tat können auch in einem psychotherapeutschen Kontext die aufretenden KEV-Muster nicht immer vorhergesagt und gezielt realisiert werden; welche »states of minds« in Folge auftreten, wird weitgehend dem Prozess überlassen. Dennoch gibt es Situationen, in denen man bestimmte KEV-Muster [Kognitions-Emotions-Verhaltens-Muster], beispielsweise aufgrund der damit verbundenen ungünstigen Formen der Informationsverarbeitung und Erinnerungszugänge, vermeiden möchte. Um also Symmetriebrechungen in eine bestimmte Richtung zu lenken, kann man sich bestimmter »Hilfestellungen« bedienen, ähnlich wie die Hilfestellungen im Sport bestimmte Bewegungsabläufe unterstützen und andere verhindern. So lassen sich einige Strukturelemente eines neuen Ordungszustandes beispielweise in Rollenspielen oder mit Hilfe motorischer Übungen realisieren, was zur Folge haben kann, dass sich ein bestimmter Zustand daraufhin kohärent und »holistisch« einstellt, insbesondere auch mit den dazu gehörigen Emotionen: partielle neuronale Aktivierung triggert umfassendere neuronale Strukturen. Gezielte Zustandrealisierungen bedienen sich insbesondere der Intentionalität und Antizipationsfähigkeit des Menschen, was konkret über imaginierte Zielzustände oder die kognitive Antizipation von Verhaltensweisen erfolgt. Die Entwicklung und mentale (am besten auch somatosensorische) Repräsentation von Zielen in der Therapie bekommt hier einen Stellenwert. Ähnlich wie ein Sportler vor dem Start kann sich der Patient in eine intendierte »Prozessgestalt« förmlich einschwingen.


In: Neurobiologie der Psychotherapie. Hrsg. von Günter Schepeck, Stuttgart; New York: Schattauer, 2003, S. 243.




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