Freitag, 27. April 2007

MONK & DIE SOZIOLOGIE


GLOSSAR


zu den beiden Arbeiten von Prof. Dr. Rodrigo Jokisch, ›Logik der Distinktionen. Zur Protologik einer Theorie der Gesellschaft‹ (Westdeutscher Verlag, Opladen, 1996, S. 412 bis 419: hier ist das Glossar zu finden) und ›Gesellschaftliche Beobachtungen – aus distinktionstheoretischer Perspektive‹ [bisher nicht erschienen].

In der vorliegenden Arbeit »Logik der Distinktionen. Zur Protologik einer Theorie der Gesellschaft« (Westdeutscher Verlag, Opladen, 1996, S. 412 bis 419) werden bekannte Begriffe neu definiert bzw. in ihrer Definition enger gefaßt. Das Glossar soll dazu beitragen, zwischen einem allgemeinen Verständnis der Begriffe und dem in der Arbeit verwendeten spezifischen Ausdrucksvokabular zu vermitteln.

Zwar bestehen gewissen Ähnlichkeiten mit Konzepten, die Niklas Luhmann vorschlug, man sollte aber den Blick stärker auf die Distinktionen lenken, die zwischen der Theorie sozialer Systeme und der Logik der Distinktionen bestehen.

Alleine schon der Umstand, daß die Logik der Distinktionen davon ausgeht, dass es 5 (fünf!) sozietale Systeme gibt (Sinnes-Wahrnehmungen, Leiblichkeit, Affektivität, Personalität, Sozialität) gegenüber den 2 (zwei!) Systemen der Theorie sozialer Systeme (Luhmann –, nämlich soziale und psychische) dürfte deutlich machen, dass es sich hier um eine gänzlich verschiedene Theoriearchitektonik handelt. Konzepte, die für Luhmann äußerst problematisch sind wie »Handlung«, »Mensch« »Nichtbeabsichtigte Folgen menschlicher Kommunikation, Entscheidung und Handlung« (Merton z.B.), »Komplementarität«, »Technik der Gesellschaft«, »Beobachtungsmodalitäten«, »Quaternarität« (Ernst Peter Fischer) oder »Tetradik« des Formkonzeptes – in deutlicher Absetzung von George Spencer Brown, stellen für die Methdologie der Distinktionen zwar eine ernstzunehmende intelektuelle Herausforderung dar, aber letztendlich sind sie »materielle« Bestandteile besagter Theoriearchitektonik.




Affektivität
Mit Affektivität oder Gefühl ist eine der vier Mitteilungsformen gemeint, in der —> KOMMUNIKATION auftritt. Affektivität bildet sich auf der Grundlage der —> Unterscheidung von betroffen/nichtbetroffen und der —> Differenz von Sympathie/Antipathie. Mit Hilfe von Gefühlen wird generell ›Nähe‹ hergestellt, die aber nicht räumlich gemeint ist. So sind sowohl ›Liebe‹ als auch ›Haß‹ Erscheinungsformen von Nähe. Die —> Beobachtung von Affektivität geschieht über Motive, ihre —> Operation über Affekte und Gefühle, wobei Affekte als kurzzeitige Ereignisse, Gefühle dagegen als langzeitige Zustände definiert werden.

Asymmetrie/Symmetrie
Unter einer symmetrisch bestimmten Lage ist eine Situation zu verstehen, bei der es kein Übergewicht von irgendeiner Seite gibt. Symmetrie beinhaltet Gleichheit: ›Alle Menschen sind vor Gott (Religion) oder dem Gesetz (Recht) gleich‹. In einer asymmetrisch bestimmten Situation besteht ein Übergewicht einer Seite über eine andere: ›nicht falsch, sondern wahr‹, ›nicht Unrecht, sondern Recht‹. In der symmetrischen Situation sind beide Seiten gleich-wertig, die asymmetrische ist durch die Bevorzugung einer Seite ein-wertig. Trotzdem können die jeweiligen Bestandteile auseinandergehalten (= distingiert) werden. Das Ergebnis der Distinktionsoperation in der symmetrischen Situation nennen wir —> Differenz, das entsprechende Ergebnis in der asymmetrischen Situation nennen wir —> Unterscheidung. Wir gehen davon aus, daß beide Formen, nämlich die asymmetrische wie die symmetrische, voneinander abhängig sind: es kann keine Symmetrie ohne Asymmetrie, und umgekehrt, geben. Hieran schließen die Konzepte von Differenz und Unterscheidung an.

Asymmetrie/Symmetrie und Unterscheidung/Differenz
Eine Asymmetrie entspricht einer Unterscheidung und eine Symmetrie einer Differenz. Sie distingieren sich allerdings dadurch, daß Asymmetrien und Symmetrien als Operationsformen, während Unterscheidungen und Differenzen als Beobachtungsformen definiert sind.

Beobachtung
Mit Beobachtung ist eine Tätigkeit (= Operation) gemeint, die nicht nur von Personen (= Individualität bzw. personales System), sondern auch von solchen Sinnsystemen wie Wirtschaft, Kunst, Politik, Gesundheit, Religion usw. ausgeführt wird. So kann die Politik die Wirtschaft beobachten, die Wirtschaft die Religion usw. Der Begriff ›Beobachtung‹ muß daher sehr allgemein gehalten werden, damit er auf die unterschiedlichen Sinnsysteme anwendbar ist. Eine Beobachtung definieren wir daher auf der Ebene der Distinktionstheorie ganz allgemein als die Verschränkung einer symmetrischen Differenz mit einer asymmetrischen Unterscheidung mit dem Ziel, Information zu produzieren. Je nachdem, wie die Form der Verschränkung ausfällt, kann es verschiedene —> Beobachtungsmodalitäten geben.

Beobachtungsmodalitäten
Es gibt nach der Distinktionstheorie mindestens sechs verschiedene Formen, die ›Welt‹ zu begreifen: man kann sich zu ihr faktisch, möglich, alternativ, beobachtungsmäßig, reflexiv und selbstreflexiv verhalten. Die ersten drei Formen bezeichnen wir als Handlungsformen, die letzten drei als Beobachtungsformen.

Code/Programm
Codes und Programme sind beständige Formprinzipien im Handlungs- und Kommunikationsraum der Sinnsysteme, wobei ihre Beständigkeit Folge ihrer gegenseitigen Stütze ist. Dabei bezeichnet Code ein asymmetrisches Prinzip (z.B. für Wissenschaft ›wahr, nicht falsch‹, für Recht ›Recht, nicht Unrecht‹ usw.). Programm dagegen bezeichnet ein symmetrisches Prinzip (z.B. auf Wissenschaft bezogen ›analytisch und synthetisch‹, auf Recht bezogen ›normativ und kognitiv‹ usw.).

Differenz/Unterscheidung
Differenz (von dis-ferre: auseinander-, entzweitragen) nennen wir eine —> Distinktion, die die Gleichwertigkeit ihrer beiden Seiten zum Ausdruck bringt und daher seitenneutral, sprich: symmetrisch, ist. Eine Unterscheidung (Unter–scheidung: Erstellung eines Rangordnungsverhältnisses) wiederum ist eine Distinktion, die der einen Seite den Vorzug vor der anderen einräumt und insofern eine asymmetrische Form aufweist.

Distinktion
Distinktion ist das zweckfreie Ergebnis eines Trennungs- bzw. Scheidungsvorganges (dis–tineo: auseinanderhalten, trennen). Sie ist der Überbegriff über zwei weitere Trennungsbegriffe: dem der —> Differenz (gleichwertige Elemente) und dem der —> Unterscheidung (ungleichwertige Elemente). Der Vorgang des Trennens (Distingierens) führt zur Herstellung von Differenzen und Unterscheidungen. Durch die darauffolgende Entscheidungsoperation kann es zu —> KOMMUNIKATION und —> HANDLUNG und somit zu —> GESELLSCHAFT kommen. Distinktionen kann man darüberhinaus allgemein als kognitive ›Reize‹ verstehen und in diesem Sinne als Bedingung der Möglichkeit sinndimensionaler Sachlichkeit.

Distinktionspragmatik
Darunter ist eine theoretische Position zu verstehen, die die Distinktionen ›Differenz‹ und ›Unterscheidung‹ im Rahmen lebensweltlich-pragmatischer Gegenwarts-Kontexte verwendet, um sozialtheoretisches Wissen produzieren zu können. Dabei wird Information als kognitives Ereignis verstanden, welches lebensweltlich eine Wirkung erzeugen kann.

Einheit
Einheit ist einzig vor dem Hintergrund von Trennung (= Distinktion) als Einheit begreifbar.

ENTSCHEIDUNG/Entscheidung
Mit ›ENTSCHEIDUNG‹ meinen wir generell eine Festlegung, die auch ohne Bewußtsein oder Intentionalität vonstatten geht. Mit ›Entscheidung‹ wiederum ist eine verbale, aber vor allem eine schriftliche Form von Festlegung gemeint, die auf der Grundlage von Intentionalität geschieht.

Erwartung/Erfahrung
Erfahrung ist das Ergebnis der Ablagerung von Fakten, ist der perfektische Aspekt einer sozialen —> Struktur. Erfahrungen haben eine asymmetrische Form. Erwartung dagegen ist das Ergebnis der Ablagerung von Möglichkeiten, ist der futurische Aspekt einer sozialen Struktur. Erwartungen haben eine symmetrische Form.
Die Verschränkung von Erwartung und Erfahrung (= Erwartungen selektieren Erfahrungen, Erfahrungen stützen Erwartungen) stellt die Form einer jeglichen GESELLSCHAFTs-Struktur dar. Vermittelnd zwischen Erwartung und Erfahrung befindet sich die —> Unmittelbarkeit als die eigentliche Form von Operation. In elaborierterer Form tritt sie als —> Gegenwart auf.

›etwas‹
Die Art und Weise einer sich noch zu konstituierenden (sozialen oder sonstigen) —> Struktur (als System, Erwartung, Information usw.). Drückt den Schwebezustand zwischen dem noch-nicht-stattgefundenen und dem bereits-stattgefundenen Ereignis aus, welches zur Bildung von Struktur führen kann, wenn es vollzogen wird.

Faktum/Möglichkeit
Ein Faktum ist ein Sachverhalt, der in Form einer gegenwärtigen Vergangenheit prozessiert. Jedes Faktum hat eine Form, die den perfektischen Aspekt von kognitiver —> Realität zum Ausdruck bringt.
Eine Möglichkeit dagegen ist ein Sachverhalt, der in Form einer gegenwärtigen Zukunft prozessiert. Jede Möglichkeit bringt den futurischen Aspekt der kognitiven Realität zum Ausdruck.

Form/Selbstreferenz
Mit Form ist der perfektische Aspekt des Zusammenspiels von Distinktionen gemeint, während Selbstreferenz den futurischen Aspekt des Zusammenspiels von Distinktionen zum Ausdruck bringt. Form ist faktische Selbstreferenz, Selbstreferenz mögliche Form.

Gegenwart
Wird als eine Kategorie verstanden, die Zeit- und Raummodi miteinander koordiniert. So sind ein ›Jetzt‹ und ein ›Hier‹ sowohl zeitlich als auch räumlich zugänglich. In Form von Gegenwart wird ›Zeit‹ in der abendländisch-philosophischen Tradition verstanden.

GESELLSCHAFT/Gesellschaft
Gesellschaft wird als eine politisch begrenzte Einheit verstanden, als Nationalgesellschaft. GESELLSCHAFT ist Weltgesellschaft, symbolisiert den Bereich möglicher —> KOMMUNIKATION (nicht Kommunikation im Sinne der TsS!) überhaupt. Gesellschaft im Sinne von Luhmann wäre hier in etwa, und d.h. nicht präzis genug, mit ›Sozialität‹ zu umschreiben.

HANDLUNG/Handlung
Sowohl ›HANDLUNG‹ als auch ›Handlung‹ bezeichnen Formen der Adressierung, der Zuschreibung von ›Verantwortung‹, der Indizierung eines ›Verursachers‹, der Selektionsbestimmung. Ihre kognitive Form ist in beiden Fällen asymmetrisch.
›HANDLUNG‹ meint dabei die generelle Form der Indizierung von ›Verantwortung›, ›Handlung‹ jedoch die Selektionsbestimmung als spezielle ausdrückliche Entscheidungsoperation. Die Einheit von HANDLUNG besteht in der Distinktion von Annahme/Ablehnung und Zweck/Mitteln.


Individualität
Mit Individualität oder Personalität ist eine der vier Mitteilungsformen gemeint, in denen KOMMUNIKATION auftritt. Individualität (›Unteilbarkeit‹) bildet sich auf der Grundlage der Distinktionen von bewußt/unbewußt und von besonders/allgemein. Mithilfe von Individualität werden Einzigartigkeiten bzw. Einmaligkeiten mitgeteilt und ›Distanzen‹ hergestellt zu allem, was gedanklich-bewußtseinsmäßig erfaßt wird. Die Operationen von individuellem Bewußtsein laufen über Gedanken und Ideen, ihre Beobachtung über Willensbekundungen.

Kognition
Gibt den Realitätsbereich wieder, der mit Hilfe von Distinktionen zugänglich ist. Die uns zugängliche Realität ist ausschließlich distinkt verfaßt, d.h. sie ist in handlungs- und kommunikationsbereite Einheiten aufgeteilt.

KOMMUNIKATION/Kommunikation
›KOMMUNIKATION‹ meint ein generelles Selektions-Angebot, das sich auf die vier Mitteilungsformen ›Leiblichkeit‹, ›Personalität‹, ›Affektivität‹ und ›Sozialität‹ bezieht.
›Kommunikation‹ meint ein spezielles Selektions-Angebot, das sich ausschließlich auf die Mitteilungsform ›Sozialität‹ bezieht und in erster Linie sprachlich bzw. schriftlich vonstatten geht. Die kognitive Form von KOMMUNIKATION und Kommunikation ist immer symmetrisch. Die Einheit von KOMMUNIKATION besteht in der Distinktion von Verstehen/Mißverstehen und von Information/Mitteilung.

Komplexität
Verschiedenartiges zusammenzufassen ist ein Zwang, dem sich jeder Sachverhalt unterwerfen muß, der sich als Einheitskomplex konstituieren will. Alle einzelnen Bestandteile müssen zumindest ein gemeinsames Kriterium aufweisen, um der übergeordneten Einheit angehören zu können. Dabei werden die Einzelbestandteile vereinfacht (= Komplexitätsreduktion). Die so gebildete Einheit von Verschiedenartigem nennen wir dann Komplexität.

Leiblichkeit
Mit Leiblichkeit ist eine der vier Mitteilungsformen gemeint, in der KOMMUNIKATION auftritt. Leib wird als die reflexive Form des Körpers definiert. Leiblichkeit bildet sich auf der Grundlage der Distinktionen von körperlich/nichtkörperlich und von Lust/Unlust. Mit Hilfe von Leiblichkeit werden ›Faktizitäten‹, ›Notwendigkeiten‹ bzw. ›Nichtänderbarkeiten‹ mitgeteilt. Die Operationen des Leiblichen laufen über Sinneswahrnehmung und Erscheinung, ihre Beobachtung über Gestik.

Logik, System der operationalen
Gibt die Bedingungen an, die man an Operationen stellen muß, damit diese ordnungsgemäß vollzogen werden können. Es handelt sich um eine Logik vor der Logik, nämlich um eine Proto-Logik.
Geht man davon aus, daß eine jegliche Operation nur zwei Möglichkeiten hat, nämlich stattzufinden oder nicht stattzufinden, so besagt das Identitätsprinzip für Operationen: Erst das zweite Stattfinden einer Operation, ihre ›Zweitmaligkeit‹, konstituiert Identität. Das Widerpruchsprinzip für Operationen lautet: Wenn eine Operation entweder stattfinden oder nichtstattfinden kann, so kann nicht beides zugleich geschehen. Das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten für Operation lautet: Wenn eine Operation entweder stattfinden oder nichtstattfinden kann, so kann nicht zugleich beides ausgeschlossen werden. Bei dieser Proto-Logik handelt es sich um den operationalen Aspekt logischer Sachverhalte.

Logik, System der sprachlichen
Gibt die Bedingungen an, die man an sprachliche Äußerungen zu stellen hat, damit diese wahrheitsfähig sein können: Satz der Identität, des Widerspruchs und des ausgeschlossenen Dritten. Bezeichnet außerdem den Beobachtungsaspekt logischer Sachverhalte.

Negation
Negation setzt immer Distinktion voraus, um sich konstituieren zu können. Negation kommt operational durch die diskreten ›Lücken‹ bzw. ›Leerstellen‹ zustande, die zwischen dem Ende einer Operation und dem Anfang der nächsten entstehen. Diese Lücken lassen die Distinktion ›operieren/nichtoperieren‹ entstehen. Eine sinnmäßige Ablagerung solcher ›Lücken‹ oder ›Leerstellen‹ (= Negationen) bildet das, was wir eine Beobachtung nennen, die somit die Operation einer ›Nichtoperation‹ ist.

Objekt
Ein Objekt ist eine Ereignisrelation bestehend aus mindestens vier distinkten Ereignissen, die sich in perfektischer (= aussagemäßiger) und somit asymmetrischer (= operativer) Form zu zwei Distinktionen verbinden. Objekte sind nur ›Objekte für einen Beobachter‹, Objekte ›an sich‹ gibt es nicht. Gleichwohl besteht die Funktion von Objekten gerade darin, objektive ›an-sich-Formen‹ zu präsentieren, und damit eine subjektlose Haltung zu ermöglichen.

Operation
Alles, was geschieht, wenn es geschieht, geschieht im Augenblick. Eine Operation (als Handlungsvorgang z.B.) hat daher nur zwei Möglichkeiten: entweder sie findet statt, oder sie findet nicht statt. Findet sie statt, so bilden sich zugleich die Sinndimensionen Zeit und Sachlichkeit. Im Stattfinden/Nichtstattfinden sind ›Zeit‹ und ›Distinktheit‹ als sachliche Dimension bzw. als Beobachtungspotentialität zugleich mitenthalten. Damit ist auch gesagt, daß jegliche Operation ihre – durch die Emergenz von ›zeitlich bestimmter Distinktheit‹ gegebene – Unterscheidbarkeit in irgendeiner Weise innerhalb der Gegenwart synchronisieren muß. Daher entsteht für jegliches in der Unmittelbarkeit operierende ›Etwas‹ das Problem der Integration von ›gleichzeitiger Ungleichzeitigkeit‹.

Paradoxie
Paradox nennen wir einen Sachverhalt, der mit seinem Gegenteil identisch ist. Paradoxien (und ebenso —> Tautologien als ›verdeckte‹ Paradoxien) lassen sich über die Zeitdimension entparadoxieren, indem gezeigt wird, wie sie zustandegekommen sind. Paradoxien kommen nämlich in der Regel durch die Gleichzeitigkeitssetzung von Ungleichzeitigkeiten und somit durch die Annahme von ›zeitlosen Anfängen‹ auf. Paradox ist jegliche Form von Identität in dem Sinne, daß sie ein Zugleich von Gleichheit und Verschiedenheit benötigt, um sich als ›identisch‹ halten zu können. So entstehen Identitäten — als die klassische Form von ›zeitlosem Anfang‹ — innerhalb der Zeitdimension. Ihre Darstellung findet jedoch innerhalb einer Gegenwart statt, die das ungleichzeitig zustandegekommene Distinkte als gleichzeitig gegeben setzt.

Realität
Mit Realität meinen wir die kognitiv über distinkte Operationen zugängliche Wirk–lichkeit. Wir gehen von der asymmetrischen Distinktion einer realen und einer kognitiven Realität aus, wobei die reale Realität den ›blinden Fleck‹ der kognitiven Realität darstellt. Dieser ›blinde Fleck‹ kommt dadurch zum Ausdruck, daß wir die kognitiv verfaßte Realität für die ›eigentlich reale Realität‹ halten.

Selbstreferenz
Mit Selbstreferenz ist der Aspekt des Zusammenspiels von Distinktionen gemeint, der die futurische Zeit einbezieht. —> Form dagegen bringt den perfektischen Aspekt des Zusammenspiels von Distinktionen zum Ausdruck. Selbstreferenz ist mögliche Form, Form ist verwirklichte Selbstreferenz.

Sinn
Sinn nennen wir die Operation eines Verweisungszusammenhanges, welcher aus der Gegenwartsposition faktisch Gegebenes auf potentiell Mögliches bezieht. Dabei weist das Faktische eine asymmetrische, das Mögliche eine symmetrische Form auf. Da die Verweisungsoperation in der unmittelbaren Gegenwart geschieht, entsteht hierdurch das Komplexitätsproblem der Synchronisierung des Zugleich von bestimmten Fakten und unbestimmten Möglichkeiten zu einer Sinneinheit, die sich nur durch Reduktion ihrer Komplexität zu einer Einheit bilden kann. Sinn ist somit daher immer schon ›reduzierter Sinn‹.

Sinndimensionen
Dieser Begriff bezieht sich auf die Form von —> Distinktion. Nimmt man die Sinndimensionen von Zeit, Raum, Sachlichkeit und Sozialität dazu und bezieht sie auf die Seiten der symmetrischen Distinktion, so kann entsprechend eine zeitlich, eine räumlich, eine sachlich und eine sozial bestimmte Symmetrie aufgezeigt werden: ›noch-nicht-bezeichnete/bereits-bezeichnete‹ Seite (= Zeit), ›komplette/unvollständige‹ Seite (= Raum), ›bestimmte/unbestimmte‹ Seite (= Sachlichkeit) und ›wählbare/nicht-wählbare‹ Seite (= Sozialität).

Sozialität
Mit Sozialität ist eine der vier Mitteilungsformen gemeint, in der KOMMUNIKATION auftritt. Sozialität bildet sich auf der Grundlage der Distinktionen von öffentlich/nichtöffentlich und von verbal/nichtverbal. Mit Hilfe von Sozialität wird Konsens hergestellt. Die Operationen von Sozialität laufen über Themen und Beiträge, ihre Beobachtung über Rollen.

Sinnsystemarten
Dieser Begriff bezeichnet die Mitteilungsformen von KOMMUNIKATION, die vier Sinnsysteme bilden: —> Sozialität, —> Personalität, —> Affektivität und —> Leiblichkeit.

Struktur/Prozeß
Strukturen sind immer Zeitstrukturen von langer Dauer. Ihre Funktion besteht darin, Prozeßsequenzen auszuwählen. Prozesse wiederum haben – zeitlich gesehen – eine kürzere Zeitdauer, wobei ihre Funktion darin besteht, Strukturen ›zu stützen‹. Strukturen und Prozesse bedingen sich daher gegenseitig. Auf gesellschaftstheoretischer Ebene sind Strukturen Erwartungsstrukturen und Prozesse Erfahrungsereignisse, wobei nach der TgS Gesellschaftstheorie erst auf der Grundlage dieser beiden Konzepten möglich ist.

Symmetrie
Symmetrien haben die Funktion, entscheidbare Prozesse dadurch in Gang zu setzen, daß sie Unentscheidbarkeiten in Form von Distinktionen präsentieren. Eine Symmetrie ist die Operationsform einer Differenz, während eine Asymmetrie die Operationsform einer Unterscheidung wiedergibt.

Tautologie
Tautologisch ist ein Sachverhalt, der mit sich selbst identisch ist. Eine Tautologie ist letztendlich eine verdeckte —> Paradoxie. Sie negiert die Zweiteiligkeit ihrer Aussage, daß ›etwas ist‹, ›was es ist‹, im selben Augenblick, in dem sie deren Identität behauptet.

Unmittelbarkeit
Damit ist der eigentliche Operationsmodus einer —> Operation gemeint: immer, wenn eine Operation stattfindet, findet sie im ›momenthaften Augenblick‹ statt. Die elaborierte Form von Unmittelbarkeit ist die —> Gegenwart, wobei es sich – bezogen auf die Form von Aussagen – hier um die präsentische Form einer Aussage handelt. Religionsphilosophisch ist die Gegenwart die ›Epiphanie der Ewigen Gegenwart‹, ein Sachverhalt, der auf Platon und Parmenides zurückgeht. Über Unmittelbarkeit wird die Distinktion von Dauer/Augenblick konstituiert, die in ihrer elaborierteren Form eben zur Distinktion von —> Struktur/Prozeß führt.

Unterscheidung
›Unterscheidung‹ bezeichnet eines der drei Trennungskonzepte dieser Arbeit. Bei einer Unterscheidung wird die Rangfolge des Getrennten vorgenommen. Unterscheidung stellt also eine seitenparteiische —> Distinktion dar. Über die Koppelung zweier Unterscheidungen kann es zur Bildung einer —> Differenz kommen; über die Vereinseitigung einer Differenz kann es zur Bildung einer Unterscheidung kommen.

Vergangenheit/Zukunft
Geben die elaborierte Form der Distinktion von vorher/nachher wieder. Vergangenheit und Zukunft finden immer nur in der Gegenwart statt und sind daher immer nur in Form einer ›gegenwärtigen Vergangenheit‹ und einer ›gegenwärtigen Zukunft‹ operationsfähig.

Wahrheit, pragmatische
Wahre Erkenntnisoperationen sind aus der Perspektive der Wahrheitspragmatik kognitive Operationen, die an die jeweiligen Umstände angepaßt sind. Eine pragmatische Wahrheitstheorie ist immer an eine Theorie sozio-kultureller Evolution gebunden, da nur im Rahmen einer solchen Theorie sinnvollerweise von einer Anpassung an die jeweiligen Umstände gesprochen werden kann. Die pragmatische Wahrheitstheorie bezieht die Übereinstimmungstheorie der Wahrheit insofern mit ein, als eine ›Übereinstimmung zwischen Aussage und Sachverhalt‹ wahrheitspragmatisch als ›Anpassungsprozeß von Schlüssel zu Schloß‹ interpretierbar ist.




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